Auf und ab mit Compur ![]() Die Entwicklung und fotohistorische Bedeutung der Zentralverschlüsse von Klaus-Eckard Riess |
Schon seit ihrer Entstehung enthält die fotografische Kamera drei unentbehrliche Bestandteile: Die lichtempfindliche Schicht, das bildzeichnende Objektiv und den Verschluss, der die Belichtungszeit steuert. Die Verschlüsse lassen sich in zwei Hauptgruppen einteilen: Die Schlitzverschlüsse, bei denen eine Öffnung zwischen zwei Jalousien aus gummiertem Stoff oder aus Metall vor dem Bildfeld vorbeigleitet, und die Zentralverschlüsse, bei denen ein Kranz von Sektoren sich um die optische Achse öffnet. Beide Verschlusstypen haben ihre Vorzüge und Nachteile. Die Überschrift dieses Artikels kann leicht den Eindruck erwecken, dass Friedrich Deckels Compur-Verschluss die Schuld am Niedergang der deutschen Fotoindustrie trägt. Doch kommt auf diesen nur ein Gran Anteil an dem Geschehen. Es war die deutsche Kameraindustrie selbst, die sich viel zu lange an den Vorzügen des Zentralverschlusses blindstierte und nur langsam reagierte, als die beschränkten Möglichkeiten beim Objektivwechsel sich zunehmend offenbarten und die Japaner innovativere Kameras auf den Markt brachten. Beginnt man bei Adam und Eva in der Kamerageschichte, dann kann man wohl sagen, dass die kleine bewegliche Klappe vor dem Objektiv der Daguerre-Kamera aus dem Jahre 1839 den ersten Kameraverschluss überhaupt darstellt. ![]() Die folgenden Jahrzehnte kam man ohne
eigentlichen Verschluss aus. Es genügte den Objektivdeckel
abzunehmen und nach der mehrere Minuten langen Belichtung wieder
aufzusetzten. Erst als die Trockenplatten aufkamen und mit
lichtempfindlicheren Emulsionen beschichtet waren, entstand Bedarf
für eine
genauere Steuerung der Belichtungszeiten. Nach 1880 erschien eine
Unmenge mehr oder weniger ausgeklügelter Verschlusskonstruktionen
auf dem Markt. Die meisten wurden mittels eines Gummiballes
ausgelöst, also pneumatisch. Oft waren sie vor dem Objektiv
angebracht, manchmal dahinter, oder auf dem ganz richtigen Platz,
nämlich im optischen Mittelpunkt zwischen den Linsen. Verschiedene
Typen sogenannter Guillotine- oder Fallbrettverschlüsse wurden zu
Vorläufern des Schlitzverschlusses, z.B. E.Brandt & Wildes
Momentverschluss von 1881.
![]() Einer
der ersten richtigen Schlitzverschlüsse, angebracht direkt vor der
Fotoplatte, wurde von Ottomar Anschütz anno 1888 patentiert. Man
denkt an die Rotationsverschlüsse von Robot, wenn man die
Konstruktion von K.Fritsch in Wien sieht (1890), bei der sich eine mit
einer Öffnung versehene, runde Scheibe im Strahlengang des
Objektivet dreht. Auf ähnliche Weise funktioniert der Chorescop
von C.P.Goerz in Berlin (1892).
![]() 1890 brachte Voigtländer einen
richtigen Zentralverschluss mit 4 Sektoren auf den Markt. Auch dieser
wurde pneumatisch ausgelöst. Der populärste Zentralverschluss
war gegen Ende des 19.Jahrhunderts sicher der Unicum von Bausch &
Lomb in Rochester. Er wurde zum Vorbild für viele anderen, wie
z.B. Bob Mod. II von Heinrich Ernemann in Dresden. Ernemann stellte
viele Zentralverschlüsse her, bis er 1926 an der Fusion zur Zeiss
Ikon AG teilnahm und die Verschlussproduktion einstellen musste.
![]() Da wir
der Entwicklung jener Zentralverschlüsse folgen wollen, die in der
Kameraindustrie bis in die siebziger Jahre das Sagen hatten,
müssen wir unseren Blick erste einmal mal München wenden.
Hier stellte die Firma Steinheil verhältnismässig lichtstarke
Objektive her, die zusammen mit den neuen, empfindlichen Trockenplatten
eine präzise Steuerung der Belichtung erforderlich machten. Schon
1881 patentierte Steinheil einen Verschluss, bei dem zwei
halbmondförmige Platten nach den Seiten ausschwenkten. Dank der
entgegengesetzten Bewegungen, die die Verschlussplatten
ausführten, war das Risiko für Verwacklungen geringer als bei
den Fallbrettverschlüssen. Allgemein anerkannt war auch Steinheils
"Universal-Objektiv-Verschluss", den Carl Pritschow 1888 konstruiert
hatte. Auch
dieser Verschluss arbeitete ziemlich erschütterungsfrei, weil die
zwei dünnen Verschlussplatten aus Metall sich
entgegengesetzt bewegten. Die kürzeste Belichtungszeit des
Steinheil-Pritschow-Verschlusses war 1/200 Sekunde.
![]()
Steinheil Klapp-Verschluss
1881
Universal-Objektiv-Verschluss von Carl Pritschow 1888
Seit 1882arbeitete ein gewisser Christian Bruns für Steinheil. 1899 konstrierte er den ersten richtigen Steinheil Zentralverschluss mit 4 Sektoren, dem 1902 der "Universal-Automatic-Verschluss Modell C" folgte. Die Regulierung der Belichtungszeiten von 1 Sek. bis 1/200 Sekunde erfolgte bei diesem Verschluss mit Hilfe einer Lederbremse. ![]() ![]() Aus
heute unbekannten Gründen zog Christian Bruns sich aus der
Zusammenarbeit zurück, aber ohne die Arbeit mit Verschlüssen
aufzugeben. 1910 meldete er ein Patent an, bei dem die
Belichtungszeiten des Verschlusses mittels eines mechanischen
Hemmwerkes gesteuert wurden. Bei Carl Zeiss erkannte man die Bedeutung
dieser Erfindung und erwarb das Patent, um es Friedrich Deckel zur
Verfügung zu stellen.
Dieser Verschluss wurde auf den Namen "Compur" getauft, eine Verschmelzung von "Compound" und "Uhrwerk". ![]() Da die auf dem Markt erhältlichen Werkzeugmaschinen den Qualitätsansprüchen von Friedrich Deckel nicht entsprachen, konstruierte er seine eigenen Maschinen. Diese Maschinenproduktion wurde zum zweiten Bein der Friedrich Deckel GmbH. Deckel-Fräsmaschinen erfreuten sich seither immer eines guten Rufes bei allen Werkzeugmachern. ![]() Spätere
Deckel-Aktie mit dem
Porträt von Friedrich Deckel und einer Fräsmaschine
Friedrich
Deckel unternahm nichts ohne vorher Carl Zeiss zu konsultieren. Es
existierten feste Vereinbarungen über die Zusamenarbeit, über
Preispolitik und über Lieferungen an konkurrierende Firmen. Man
gründete eine geheime Interessengemeinschaft, der ausser Carl
Zeiss und Friedrich Deckel auch Alfred Gauthier in Calmbach und Bausch
& Lomb in Rochester angehörten. Bei letzterer Firma besass
Zeiss 25 % der Aktien.
Seit 1910 gehörten nämlich Carl Zeiss auch Anteile an der Alfred Gauthier GmbH, die sich später zur grössten Verschlussfabrik der Welt entwickeln sollte. 1931 erreichte Carl Zeiss sogar die Aktienmehrheit, doch wurde das geheimgehalten, um auch den Konkurrenten weiterhin Verschlüsse liefern zu können. ![]() Die
Brüder Alfred und Gustav Gauthier hatten ihre mechanische
Werkstatt 1902 in Calmbach im nördlichen Schwarzwald
gegründet. 1904 begannen sie mit der Herstellung von
Kolios-Verschlüssen, anfangs mit Lederbremse und später mit
"Luftpumpe". Es folgten Zentralverschlüsse mit den Bezeichnungen
Derval, Ibso, Singlo, Telma, Ibsor, Vario und Pronto. Der letztgenannte
Name stammt aus dem Lateinischen und bedeutet soviel wie "bereit". 1935
kam der Prontor hinzu, der zu einem berühmten Warenzeichen wurde
und später sogar der gesamten Firma seinen Namen verlieh.
![]() Alfred
Gauthier stellte Qualitätsverschlüsse her, die jedoch nie den
Standard und das Prestige von Compur erreichten. Man baute sie in
billigere Kameratypen ein, aber auch das war vertraglich festgelegt.
Ebenso wie Deckel stellte auch Gauthier eigene Werkzeugmaschinen her.
Es ist bestimmt kein Zufall, dass Carl Zeiss gerade 1910, d.h. ein Jahr nach der Fusion einiger Kamerafabriken zur Ica AG, Anteile bei sowohl Friedrich Deckel als auch bei Alfred Gauthier erwarb und sich so die Kontrolle über die beiden wesentlichsten Verschlusshersteller sicherte. Der Vorteil war gegenseitig. Carl Zeiss sicherte seine Objektivproduktion und gleichzeitig die Verschlussproduktion bei Deckel und Gauthier. Die Geschichte wiederholte sich 1926 bei der Fusion zur Zeiss Ikon AG, als Heinrich Ernemann seine Verschlussproduktion aufgeben musste und die Zeiss Ikon sich verpflichtete, Compur-Verschlüsse in 80 % ihrer Kameras einzubauen. 1927 wurde das kleine Einstellungsrad des Compur von einem grossen Ring abgelöst. 1928 kam dann der Compur S mit Selbstauslöser und 1934 der Compur Rapid mit einer kürzesten Belichtungszeit von 1/500 Sekunde. ![]() 1925
schuf Ernst Leitz eine Sensation mit Oskar Barnacks kleiner Leica
für 35mm Kinofilm. Auch die Zeiss Ikon AG vesuchte bei dem
"Kleinbildwesen" mitzuhalten, z.B. im Format 3x4cm mit der kleinen
Kolibri, die entweder mit Tessar-Objektiv und Compur-Verschluss
ausgestattet war, oder in der
Billigausgabe mit Novar-Objektiv und Telma-Verschluss. Natürlich
konnte die Kolibri es nicht mit den Möglichkeiten aufnehmen, die
die Leica aus Wetzler zu bieten hatte.
Man holte des halb den jungen Ingenieur Heinz Küppenbender von Carl Zeiss Jena nach Dresden. In Zusammenarbeit mit dem Generaldirektor Emanuel Goldberg hatte er eine Systemkamera zu kontruieren, die die Leica übertrumpfen sollte ohne mit den Patenten der Firma Leitz zu kollidieren. Bekannterweise war die Contax das Resultat dieser Bestrebungen. Dem Herrn Kommerzienrat Friedrich Deckel in München kam das natürlich vor Ohren, und da das in seinen Augen gegen die Abmachungen verstiess, die er mit der Zeiss Ikon AG hatte, protestierte er heftig. Am 25. November 1933 schrieb er an den Geschäftsführer von Carl Zeiss, Paul Henrichs: "Die Zeiss Ikon rüstet immer weitere Modelle mit Schlitzverschluss aus, was für mich doch schliesslich ebenso nachteilig ist, als wenn sie diese Kameras mit anderen Zentralverschlüssen ausrüsten würde, denn das Geschäft geht mir effektiv verloren. Dazu kommt, dass durch diese Massnahmen für den Schlitzverschluss immer weitere Propaganda gemacht wird, was sich auch wiederum nachteilig für meine Verschlussproduktion auswirken muss. Ein wirklich freundschaftliches Zusammenarbeiten kann doch nur stattfinden, wenn in dieser Angelegenheit in Dresden mehr Rücksicht auf meine Firma genommen wird." Eine
Antwort von Carl Zeiss auf dieses Klagelied ist nicht erhalten. Doch
wie wir wissen, hat Friedrich Deckel nicht verhindern können, dass
die Zeiss Ikon ihre führenden Kameramodelle Contax, Super Nettel,
Nettax und Contaflex mit dem neuen Metallschlitzverschluss ausstattete.
Heute kann es uns wundern, dass Friedrich Deckel nicht gebeten wurde,
einen Metallschlitzverschluss zu entwickeln. Die Konstrukteure in
seiner Firma müssen doch die Voraussetungen besessen haben.
Am 1. September 1939 brach der 2.Weltkrieg aus. Die Verschlussproduktion ging auf Sparflamme und die Friedrich Deckel GmbH musste sich auf die Herstellung von Brennstoffpumpen für BMW-Flugzeugmotoren umstellen. Auch bei Alfred Gauthier in Calmbach trat die Rüstungsproduktion in den Vordergrund. 1945 begann ein bescheidener Neuanfang mit Verschlussmodellen der Vorkriegszeit. Die neugegründete Zeiss Opton in Oberkochen nahm die alten Geschäftsverbindungen zu Deckel und Gauthier wieder auf. Die Verschlüsse erhielten nun Bezeichnungen wie Synchro-Compur und Prontor-SV, weil sie synchroniert wurden und damit der Entwicklung in der Blitztechnik folgten. ![]() Annoncen aus "Photo-Technik und -Wirtschaft" Mai 1952 Während der ersten beiden Nachkriegsjahrzehnte hatten Deckel und Gauthier grosse Erfolge mit ihren Compur- und Prontor-Verschlüssen zu verzeichnen. Der Zentralverschluss hat viele Vorteile. Erstens läuft er praktisch erschütterungsfrei ab, und zweitens belichtet er das gesamte Bildfeld gleichzeitig. Letzteres ermöglich Blitzaufnahmen selbst bei den kürzesten Belichtungszeiten. Da kann kein Schlitzverschluss mithalten. Mit einer Zentralverschlusskamera konnte der Fotograf also die vorhandene Beleuchtung besser mit dem Blitzlicht kombinieren. Gerade das trug ja seinerzeit auch zur Popularität der Hasselblad 500C bei. Zentralverschlüsse konnten in Massen produziert und allen möglichen Kameras angepasst werden. Das war natürlich ein Vorteil für die vielen Kamerafabriken, die in der Nachkriegszeit in Deutschland aus der Erde schossen. Dass der relativ kleine Öffningsdiameter des Zentralverschlusses die Möglichkeit des Objektivwechsels stark begrenzt, spielte die ersten Jahre noch keine grössere Rolle. Auf diesem Gebiet zeigt der Schlitzverschluss seine grosse Überlegenheit. Dafür hat er aber ein paar andere, erhebliche Nachteile. Zum ersten ist die Blitzsynchonisation problematisch, weil der Verschluss nur bei einer verhältnismässig langen Zeit das ganze Bildfeld auf einmal freigibt. Kürzere Belichtungszeiten als 1/25 oder 1/50 Sek. konnten bei den Schlitzverschlusskameras der fünfziger Jahre nicht für die Fotografie mit Elektronblitzen benutzt werden. Ein anderer Nachteil des Schlitzverschlusses ist, dass er ein in Bewegung befindliches Motiv verzeichnet. Z.B. wird ein fahrendes Auto länger oder kürzer abgebildet, je nachdem es sich mit oder entgegen der Richtung des Verschlussrollos bewegt, und ein rollendes Rad wird mehr oder weniger oval abgebildet. Es gab also reichlich Gründe, Zentralverschlüssen den Vorrang zu geben. ![]()
Synchro-Compur der Contaflex
I
Prontor-Reflex der Contaflex beta
1953 wartete die Zeiss Ikon AG in Stuttgart mit der epochemachenden Contaflex auf. Ihr kam das Prädikat zu, der Welt erste Kleinbild-Spiegelreflexkamera mit Zentralverschluss zu sein. Dem Chefkonstrukteur Edgar Sauer war es gelungen, die Funktionen des Spiegels und einer extra Lichtklappe damit in Einklang zu bringen, dass der Verschluss zuerst ganz offen als Sucher stand, um nach dem Druck auf den Auslöser zu schliessen während der Spiegel hoch ging, und schliesslich mit vorgewählter Zeit und Blende wieder zur Belichtung zu öffnen. Der Ablauf vom Druck auf den Auslöser bis zur Öffnung des Verschlusses zur Belichtung dauerte etwa 20 Millisekunden. Die folgenden Modelle der Contaflex waren dann alle mit Satzobjektiven ausgestattet, bei denen durch Austausch des Frontlinsenelementes verschiedene Brennweiten gewählt werden konnten. Die meisten namhaften Kamerahersteller folgten dem Trend zu Spiegelreflexkameras mit Zentralverschluss: Kodak Retina Reflex (1956), Voigtländer Bessamatic (1958), Braun Paxette Reflex (1958), Agfa Ambi Reflex (1959), Wirgin Edixa Elektronica (1962). Deckel und Gauthier boten für diese Kameras die entsprechenden, weiterentwickelten Verschlüsse an, z.B. mit Lichtwerteinstellung, Schärfentiefeanzeige und Wechselfassung für Objektive. ![]() Auf
der photokina 1956 wurde dann auch für die kompakten Sucherkameras
mit Wechselobjektiven auf die Trommel geschlagen. Nur um zu nennen:
Kodak Retina, Zeiss Ikon Contina III, Agfa Ambi Silette, King Regula
IIId, Futura, Diax, Leidolf Lordomat, Braun Paxette, Voigtländer
Vitessa T.
![]() Schon
1950 hatte Voigtländer die 35mm Prominent auf den Markt gebracht,
mit der man der Leica und der Contax vergeblich die Stirn zu bieten
versuchte. Die Prominent war der Welt erste
Messsucherkamera mit Zentralverschluss und Wechselobjektiven.
Zwischen 1957 und 1960 boomte die Zentralverschlussproduktion. Gauthiers Prontor-Werk in Calmbach kam mit 3250 Mitarbeitern auf eine Tagesproduktion von 10.000 Verschlüssen. Deckels Compur-Werk in München beschäftigte zur gleichen Zeit etwa 1500 Leute. 1959 eröffnete die Agfa Optima die Ära der vollautomatischen Kameras, wie sie bald von allen Herstellern angeboten wurden. Die Belichtungsautomatik dieser Kameras war mechanischer Art. Ein Druck auf eine "magische Taste" oder auf den Auslöser klemmte den Zeiger des Belichtungsmessers fest, bevor dessen Position abgetastet und auf den Blenden- oder Programmring des Verschlusses übertragen wurde. Die meisten Hersteller bedienten sich der drei Verschlusstypen, die Gauthier zu diesem Zweck herstellte: Prontor-Lux war der einfachste, angewendet z.B. bei der Adox Polomatic II und der Dacora 4D. Mit der Filmempfindlich- keit stellte man auch gleich die Verschlusszeit ein, d.h. alle 18 DIN Filme wurden mit 1/30 Sek. belichtet und alle 27 DIN Filme mit 1/500 Sekunde. Die Belichtungsautomatik regulierte ausschliesslich die Blende. Der Prontormat-S war wohl der am meisten benutzte Verschluss, wie z.B. bei der Zeiss Ikon Tenax oder bei der Voigtländer Dynamatic I. Zwei fest verbundene Kurven waren mit der Belichtungsautomatik gekuppelt und stellten nach einem festgelegten Zeit/Blende-Programm ein. ![]() Der Prontormatic war den
Kameras für jene kreativen Amateure zugedacht, die selbst die Zeit
wählen wollten und nur die automatische Einstellung der Blende dem
Belichtungsmesser überliessen, wie z.B. bei der Adox Polomatic III
S oder der Voigtländer Dynamatic II.
Auch Friedrich Deckel stellte einen Compur automat für diese sogenannte Simplex-Steuerung her. Der Compur automat fand Anwendung z.B. bei der Super Baldamatic und bei der Retina automatic II und III. ![]() Der
Trend zur Belichtungsautomatik machte auch vor den Spiegelreflexkameras
nicht halt. Schon 1959 war die französische Savoyflex mit
Zeitvorwahl am Prontor-Reflex-Verschluss und mit Blendenautomatik
erschienen. 1961 kamen Voigtländers Ultramatic und 1962 Zeiss
Ikons Contaflex super B auf den Markt, beide mit Compur-Verschluss. Die
Ultramatic wartete sogar mit Spiegelrückkehr auf. Alles war von
hervorragender Qualität, aber mechanisch kompliziert, teuer
herzustellen und umständlich zu reparieren. Hinzu kam die durch
den kleinen Öffnungsdiameter bedingte, eingeschränkte
Möglichkeit des Objektivwechsels.
![]() Dass
zur gleichen Zeit zunehmend japanische Kameras
auftauchten, die innovativer und billiger, aber ausserdem von guter Qualität waren,
wurde von den deutschen Kameraherstellern scheinbar arrogant
übersehen. Ob die Leitung von Carl Zeiss in Oberkochen, die 1958
für eine grosse Summe Geld Deckels Compur-Werk erstanden hatte,
die anderen Hersteller regelrecht nötigte, an dem
Zentralverschlusskonzept festzuhalten, weiss
ich nicht. Allgemein bekannt ist aber, dass der Zeiss-Boss Heinz
Küppenbender die Weiterentwicklung innovativer
Spiegelreflexmodelle bei Voigtländer untersagte. Auch
Voigtländer war nämlich 1956 von Carl Zeiss erworben worden.
Als man dann 1966 mit der Ikarex auf die japanische Herausforderung zu antworten versuchte, war es längst zu spät. Alleine dass die Zeiss Ikon/Voigtländer-Gruppe mit 5 verschiedenen Objektivanschlüssen daherkam, machte ihre Produkte wenig konkurrenzfähig. 1971 traf die Leitung von Carl Zeiss schweren Herzens den Entschluss, die Kameraproduktion bei Zeiss Ikon in Stuttgart und bei Voigtländer in Braunschweig einzustellen. Nach und nach waren auch andere Kamerahersteller in Schwierigkeiten geraten und mussten den Schlüssel umdrehen: z.B. Aka Friedrichshafen 1960, Adox Wiesbaden 1965, Leidolf Wetzlar 1965, Braun Nürnberg 1968, Dacora Reutlingen 1972, Wirgin Wiesbaden 1973, auch bei Kodak in Stuttgart stoppte die Herstellung von 35mm Kameras 1967. Diese negative Entwicklung ging natürlich an Deckel und Gauthier nicht spurlos vorüber. Schon 1965 hatte Alfred Gauthiers Prontor-Werk mit einem Stellenabbau begonnen, bis 1975 nur noch 740 Leute übrig waren. Im Compur-Werk in München konzentrierte man sich ab 1972 auf andere Produkte. 1976 wurde die Compur-Produktion eingestellt und der Rest in das Prontor-Werk in Calmbach verlegt. Dort lief die Produktion weiter, z.B. mit Verschlüssen für Hasselblad und für Grossformatkameras. Auch elektronische Verschlüsse wurden entwickelt. Mit der Glanzzeit der westdeutschen Kameraproduktion war es jedoch ein für allemal vorbei. Es ist wert, einen Blick auf die andere Seite des Eisernen Vorhanges zu werfen. Während die führenden westdeutschen Kamerafabriken Leitz, Zeiss Ikon und Voigtländer vorerst am Messsucherprinzip festhielten, führte die Fotoindustrie in Dresden das Spiegelreflexkonzept mit Schlitzverschluss weiter, welches mit der Kine Exakta und der Praktiflex begonnen hatte. Kameranamen wie Exakta Varex, Contax S, Praktica und Praktina schrieben Geschichte. Mit der Zeit erhielt die Praktica die höchste Priorität. Zu einer Zeit, als ein Grossteil der westdeutschen Kameraindustrie längst in den letzten Zügen lag, warteten die Dresdner mit den innovativen L- und B-Serien ihrer Praktica auf und produzierten sie in enormen Stückzahlen. Andere Amateurmodelle und Sucherkameras benötigten Zentralverschlüsse. Einige Kameratypen, wohl vor allem die für den Export bestimmten, stattete man mit Compur-Verschlüssen von Deckel aus. Auf die Dauer wollte man aber davon nicht abhängig sein. Daher entwickelte man schon während der fünfziger Jahre eigene Zentralverschlüsse mit Namen wie Vebur, Cludor, Tempor und Prestor. Mit dem Prestor-Rapid erreichte man sogar eine kürzeste Belichtungszeit von 1/750 Sekunde. ![]() Der
Erfolg den die Contaflex und entsprechende Spiegelreflexkameras im
Westen hatten, und nicht zuletzt der Vorteil dieser Modelle beim
Blitzen, verleitete die Dresdner zur Entwicklung einer ebensolchen
Kamera. Daraus wurde die Pentina mit ihrer futuristischen Formgebung,
mit Prestor-Verschluss und mit wechselbaren Objektiven von Carl Zeiss
Jena.
Zum Glück erkannte man bald, dass man mit dieser Kamera auf dem falschen Weg war. Darum verblieb die Pentina die einzige Kamera dieser Art aus Dresden. Sie wurde nur von 1961 bis 1965 hergestellt. Nikon bezahlte übrigens 1964 ähnliches Lehrgeld mit der wenig erfolgreichen Nikkorex Auto 35. Nur in Oberkochen und Stuttgart schien der Groschen etwas langsamer zu fallen. ![]() Mit
dem Zusammenbruch des DDR-Regimes 1989 schlug auch der ostdeutschen
Kameraproduktion die Schicksalsstunde. Ein völlig unrealistisches
Verhältnis zwischen Produktionskosten und Gewinn (inzwischen war
man ja auch technisch den Japanern gegenüber ins Hintertreffen
geraten) führte zur Liquidierung der Dresdner Fotoindustrie in
einem langen und schmerzvollen Prozess. Doch hatten weder Compur
noch Prontor daran einen Anteil.
Und wie sieht es heute mit den beiden berühmten Verschluss-Namen aus? In München existiert noch die Firma Compur-Monitors, die ihre Wurzeln auf Friedrich Deckel zurückführt. Doch stellt sie Messgeräte für die Gasindustrie her anstatt von Verschlüssen. Auch bei der Firma Prontor GmbH in Calmbach pulsiert reges Leben, allerdings hauptsächlich auf dem Gebiet der Medizintechnik. Die Geschichte vom Dilemma der deutschen Fotoindustrie vor 40 Jahren zeigt uns, wie Arroganz, mangelndes Anpassungsvermögen und Fehlentscheidungen zum Niedergang einer ganzen Branche führen können. "Hochmut kommt vor den Fall" heisst es in den Sprüchen Salomos. Doch haben wir gut reden, hinterdrein kann ja jeder den Besserwisser spielen! ![]() |